vom Ganzen ein Teil

Predigt zu 1. Kor 14, 1-12 (23-24)
erschienen in den Homiletischen Monatshefen
(V&R, Sommer 2021)


Wem gehört der Gottesdienst?

Ich stelle mir vor, jemand kommt in diesen Gottesdienst. Diese Person war zuvor noch nie hier bei uns. Vielleicht ist sie überhaupt zum allerersten Mal Besucher/in irgendeines Gottesdienstes. Oder kommt zum ersten Mal seit langer Zeit. Nach einem Weihnachtsgottesdienst. Oder der Taufe ihrer Nichte.

Und dann frage ich mich: Versteht diese Person, was wir hier sagen und tun? Was wir singen und beten? Fühlt sie sich wohl bei uns? Gesehen und willkommen? Würde sie noch einmal wiederkommen?

Vielleicht hat Paulus sich ähnliche Fragen gestellt, als er an die Christ/innen in Korinth schrieb. Denn ob sich jemand bei uns wohlfühlt, sagt er, misst sich daran, ob diese Person uns versteht.

So vieles ist uns lieb geworden: Lieder und Musik, Worte und Gewohnheiten. So vieles erbaut uns. Darum wollen wir es gern weiter so tun und sagen, wie wir es immer schon getan und gesagt haben. Wir hüten und pflegen unser Gut, wie einen Schatz. Doch wem gehört der Gottesdienst? Oder anders gefragt: Wem gehört, was Gott uns schenkt?

 

Stell dir mal vor

Stell dir mal vor, wir würden die Brille wechseln. Durch andere Gläser schauen. Und uns selbst einmal Fremde sein. Wir würden von einem anderen Platz aus schauen, was eigentlich hier vorn geschieht. Genau hinhören, was wir sagen und wie. Und uns dann selbst die Frage stellen: Was heißt das eigentlich? Wer ist gemeint? Wem sagt das was?

Stell dir mal vor, wir würden Gottesdienst für Alle denken. Wir wären offen für Fremde. Mehr noch: Wir würden sie als Maßstab nehmen und ehrlich interessiert sein an ihrem ersten Eindruck von uns. Daran, welchen Gott sie treffen, wenn sie uns sehen und hören – denn immerhin sind wir sein Leib. Wir würden fragen: Was hat dir gut getan? Worüber wunderst du dich? Was ist dir fremd?

Stell dir mal vor, wir würden Schwieriges übersetzen und Wirres verständlich machen. Wir wären prophetisch, deutlich und wahr. Engelsdialekte würden wir sparsam verwenden. Großwortgeschwurbel vermeiden. Wir würden lebensechte Worte sagen statt leerer Floskeln. Und glauben, dass das reicht. Wir würden stammeln und „Ich“ sagen, statt immer nur „man“. „Und“ statt „aber“.

Und Jesus. Wir würden ihn und seinen Himmel auf die Erde sagen: Glauben, dass er da ist – genau jetzt, genau hier. Erzählen, dass er bleibt. Für immer. Wir würden darauf vertrauen, dass er mitlebt und mitleidet – er, der Gekreuzigte und der Auferstandene, voller Wunden und Wunder.  

 

Prophetische Offenheit

So geht prophetisch sein, sagt Paulus:  Mit Offenheit. Und mit Echt-Sein: Es geht nicht, ohne die Wahrheit zu sagen, wenn jemand fragt, wie es uns geht. Es geht nicht, ohne einander zuzuhören: Prophet/in sein ist keine Einbahnstraße. Prophet/in – das bin nicht nur ich. Das sind nicht nur Kirchenmenschen. Traue ich mich, das so zu sehen? Wage ich es, mich so zu zeigen? Als eine von vielen? Mich anfragen zu lassen von jemandem, der/die möglicherweise ganz andere Ideen von Kirche hat, als ich selbst?

Prophetisch sein heißt: Beharrlich das Gute und Schöne – die Liebe – in dieser Welt und in jedem Menschen zu suchen und zeigen. Voller Ungeduld hoffen, dass einmal alles zusammenkommt. Und rastlos im nächsten Dickicht schon den Anfang eines Weges dorthin zu erkennen. Es heißt: den Himmel auf die Erde sagen. Und so tun, als sei er längst hier.

Prophetisch sein macht verwundbar: Ein weites Herz ist manchmal unbequem. Es bedeutet, meine ganz eigenen Vorstellungen loszulassen ­­– vom Müssen und Sollen und Dürfen. Und die zu uns finden Bruder und Schwester zu nennen: In ihnen das Teilstück der Liebe zu sehen, das Gott in sie hineingelegt hat.

Letztlich bedeutet es, gnädig mit mir selbst zu sein: Voller Hingabe für mein eigenes Liebesstück. Und voll demütigen Staunens darüber, dass Gottes ganze Liebe so viel größer ist, als das eine kleine Stück in meinem Herzen. Was ich habe, ist nur ein Teil. Ich brauche die anderen Teile, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie groß und weit und wunderbar die Liebe Gottes im Großen und Ganzen ist.

 

Ode an die Liebe

Gott teilt mit uns sein Herz. Einem jeden schenkt er ein Stück. Ein Teil vom großen Ganzen für jeden Erdenmenschen. Ein Stück, dass uns erinnert: was durchs Leben trägt, ist für alle da. Ist geschenkt. Wie ein Krumen Brot für die Manteltasche: Der reicht, bis wir angekommen sind. Dann legen wir unsere Stücke aneinander und sehen, dass es stimmt: Eine Liebe. Ein Brot. Ein Ganzes: Eins für alle. Und unterwegs wird auch in uns etwas wieder ganz und heil.

Es geht um die Liebe.
Im Großen und Ganzen
ist sie die schönste von allen.
Ihre Wahrheit reicht, so weit der Himmel ist.
Und ihre Güte, so weit die Wolken gehen.

Ein Stück von ihr
trägst du in dir –
sie ist ein Teil von dir
und du von ihr.

Sie ist langmütig und freundlich.
Sie glaubt und hofft.
Alles.

Ein Stück von ihr
in dir.
Und eins in mir.
Ein Teil von ihr in jedem Menschen.
Niemals hört sie auf.

Es geht um die Liebe.
Immer.
Im Großen und im Ganzen
und auch im Kleinen.


Kirchenträume

Darum, sagt Paulus, sollen wir auch das, was den anderen lieb ist, wichtig nehmen. Genau hinsehen und hinhören. Mit der Frage im Herzen: Welchen Gott stellst du mir vor? Voller Offenheit. Voller Respekt. Ohne Angst davor, was uns lieb ist, zu verlieren. Stattdessen mit Vorfreude auf das, was wir gewinnen werden. Wir sollen darauf achten, was wir sagen und wie. Prophetisch soll es sein: Deutlich. Wahr. Echt. Mit der Kraft, einen Menschen aufzurichten. Mit dem Blick für das große Ganze: Für Gottes Liebe, die uns von allen Seiten umgibt. Die einem jeden Menschen innewohnt. Denn unsere Worte sind wie Scharniere an unserer Kirchentür: Was wir sagen und wie wir es sagen bestimmt darüber, ob wir offen und einladend sind. Oder geschlossen und versperrt.

Heute will ich von weiten Türen und offenen Herzen träumen. Von einer Liebe, die weit ins Draußen reicht: So weit der Himmel ist. So weit die Wolken gehen.

Ein Wind weht durch unsere Bänke und wirbelt Staub auf. Menschen kommen und schauen mal rein. Bleiben – auf ein Wort, ein Gebet, ein Licht. Sie bringen mit, was sie von Gott verstehen. Und wir hören ihnen zu. Gemeinsam sitzen wir am Tisch. Der reicht bis weit über die Schwelle unserer Kirchentür, die ganze Straße runter, einmal um die Welt. Zusammen wundern wir uns und kommen auf Ideen. Und teilen Geschichten, Brot und Gottes ganze, große Liebe.

Amen

 

Gebet

G*tt,
du große Liebe,
aus freien Stücken schenkst du mir
ein Teil von dir.
Ein Bruchstück deines Herzens,
nur für mich.
Und wie wäre es, G*tt,
wenn wir alle
unsere kleinen Stücke deiner großen Liebe
aneinander halten würden?
Ist so groß dein Herz, G*tt?
Bitte zeig es mir.
Zeig mir, dass du Platz hast.
Sogar für mich.
Und lass diesen Ort,
mein Herz,
offen, weit und heil werden.
Amen

 

 

© Andrea Kuhla

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