Unsichtbarer Muttertag

Heute ist Muttertag. Für mich seit einigen Jahren ein Tag, der mir sehr nah geht. An dem ich auch mal weinen muss. Weil man mir mein Muttersein nicht ansieht. Nicht ganz.

 

Ich bin Mama von zwei Jungs. Die Welt kann das sehen, weil meine beiden Rabauken mit mir durchs Leben und durch den Park tollen.

 

Und ich bin Mama von Felix. Das sieht niemand. Er ist in meinem Bauch gestorben, 8 Tage, bevor er errechnet  zur Welt kommen sollte. Alle unsere Freunde wissen das. Er ist Teil unseres Lebens und unserer Familie. Ich erzähle gern von ihm. Weil ich möchte, dass andere Menschen wissen, dass da noch jemand ist, der zu unserer Familie gehört. Und weil es ein Weg ist, mich selbst immer wieder zu vergewissern, dass Felix da ist – nicht, dass ich ihn je vergessen könnte.

 

Was auch niemand sieht und kaum jemand weiß ist, dass da fünf kleine Leben einen Platz in mir, in meinem Körper hatten. Und dass sie immer noch zu mir gehören. Ich hatte fünf Fehlgeburten, jeweils sehr früh, zwischen der 6. und 11. Schwangerschaftswoche. Ich muss zugeben, dass ich um Worte ringe und um eine Sprache, die das für mich irgendwie greifbar macht. Weil diese Schwangerschaften ganz andere Geschichten erzählen, als Felix. Sie waren klein. Weil sie zu Ende gingen, bevor sie überhaupt so richtig beginnen konnten: Weder war meine Schwangerschaft nach außen sichtbar, noch habe ich die Bewegungen dieser kleinen Babys gespürt. Und doch waren sie für mich sehr real. Fünf Male, in denen ich bereits eine Hebamme hatte. Meine Ernährung umgestellt hatte. 5 Male, in denen mir übel war, wenn ich Eier roch und in denen ich gern rohen Knoblauch gegessen habe. 5 mal habe ich mir vorgestellt, wie das wird, bald ein Baby an Board unserer Familie zu haben. Wir hatten sogar Freund_innen und Familie von den Schwangerschaften erzählt – zweimal sogar schon unseren Kindern. Und auch jetzt denke ich noch manchmal darüber nach, was geworden wäre, wenn eines von diesen Babys in dieser verrückten Welt außerhalb meines Bauches angekommen wäre.

 

Ich bin Mama auf ganz vielfältige Weise. Ich bin Mama von besonderen Kindern. Sie haben mich verändert und machen mich zu einer besonderen Mama. Sie gehören zu mir und meinem Leben – mein Körper weiß das sehr genau. Er hat das viele hormonelle Auf und Ab nicht vergessen: Er hat immer wieder Platz geschaffen für meine drei Kinder und für die ganz kleinen Wesen, hat sich weich und weit und durchlässig gemacht. Wie früher wird er nie mehr sein, und ich danke es ihm und bewundere, was er alles schon geschafft und geschaffen hat.

 

Auch meine Seele wird das niemals vergessen. Meine Kinder und Schwangerschaften haben sie gezeichnet, und die Verluste umso mehr: Der Schmerz, das Vermissen, das Fragen nach dem Warum und das Ohne-Antwort-Bleiben. Vor allem die Liebe. Weil da immer schon so viel Verbindung war. Bezug und Beziehung zu den Babys, die nicht bleiben durften. Zu Felix erst recht.

 

Etwas davon bleibt für immer. Und dieses Etwas ist ganz schön viel: Nämlich alles, das war. Und dazu noch alles, das nie hat sein dürfen. All das gehört zu mir und ich lerne jeden Tag mehr, damit zu leben. Am Muttertag fällt mir das besonders schwer. Da wird meine Seele wieder ganz weich und dünnhäutig. Weil ich mir nur vorstellen kann, wie es wäre, wenn hier noch mehr Kinder durch die Wohnung oder den Park miteinander toben oder mir die 2. Kugel Eis abquetschen würden.

 

Es könnte so sein.

Es hätte so sein sollen.

Aber es ist nicht so.

Und darum kann das niemand kann das sehen.

 

Aber es hilft, wenn ich davon erzähle. Es tut mir selber gut, weil das, was mich ausmacht – diese Verluste, meine Trauer, meine Liebe, meine zerplatzen Träume und unerfüllten Hoffnungen – weil dieser wichtige Teil von mir plötzlich sichtbar wird. Ich werde ein Stück Heiler und ganzer.

 

Und noch etwas geschieht: Ich bin plötzlich nicht mehr allein. Denn je öfter ich darüber spreche, desto mehr Geschichten reihen sich ein. Sie sind ganz verschieden. Aber diese Lücke, die spüre wir alle. Etwa jede dritte Schwangerschaft endet in einem Verlust. So viele Frauen haben ihre ganz eigenen Geschichte zum unsichtbaren Mama-Sein. Oft bleibt sie hinter Unsicherheit und Tabu verborgen – eben unsichtbar.

 

Heute ist Muttertag. Verluste sind Teil des Lebens. Dass Babys unbeschadet durch eine Schwangerschaft und lebend zur Welt kommen, ist nicht selbstverständlich. Egal zu welchem Zeitpunkt in der Schwangerschaft ein kleines Leben zu Ende geht – es macht macht etwas mit einem Menschen. Es macht uns auf auf besondere Weise zu Müttern.

 

Ich wünsche mir, dass das kein Tabu bleibt. Dazu braucht es, dass wir uns zeigen und unsere Geschichten erzählen. Darum will ich heute damit anfangen. Und darum geht heute Liebe und Segen raus an alle Mamas – ganz besonders an die besonderen: 

Ihr seid nicht allein!

 

 

 

©Alexander Holzmüller