Als ich 6 Jahre alt war, feierte meine beste Freundin Kommunion. Als sie aufstand und nach vorn ging in ihrem weißen Kleid, um zum ersten Mal das Abendmahl zu empfangen, da hörte ich: „Nein, nicht du.“ Und obwohl ich mir geschworen hatte, stark zu sein, liefen mir Tränen über die Wangen. Warum durfte ich nicht zu Gott*? Eine Oblate essen? Saft trinken? Dazu gehören? Warum sollte ich an dem mir zugewiesenen Platz bleiben? Warum durfte ich kein weißes Kleid tragen? Was war falsch an mir? War ich nicht gut genug für diesen Jesus? Wollte er mit mir nicht teilen?
Als ich konfirmiert wurde, da hörte ich: „Jetzt du.“ Ich hatte mich angestrengt. Hatte gelernt und wurde geprüft. Ich wollte das, es war mir wichtig. Jetzt durfte auch ich dazugehören. Ich bekam, was Gott* wohl nun endlich bereit war, mir zu geben. Und das war auch die Erlaubnis, dazuzugehören und mitzumachen.
Als ich Teamerin war, da hörte ich: „vielleicht du“. Ich half, wo ich konnte. Wollte mich beweisen und zeigen, dass mein Glaube es wert war. Doch als wir am Sonntag morgen vorn ein Lied auf der Gitarre spielten, da standen einige auf und verließen die Kirche: „So geht das nicht!“ Ich verstand: es gibt Menschen, die bestimmen Kirche. Die haben es nicht gern, wenn andere anders mitbestimmen und -machen wollen – auch, wenn sie das anders sagen. Ich durfte mitmachen. Aber viel zu oft nur so, man es von mir erwartete und verlangte. Kirche blieb im Rahmen. Und ich stellte fest, dass der manchmal sehr unbeweglich war.
Andere freuten sich, dass ich Lust hatte, mich einzubringen. Sie ließen mich und freuten sich. Bemühten sich um mich, obwohl ich im Team für die Arbeit mit Kindern mit Abstand die jüngste war. Ich trank meinen ersten Schluck Kaffee. Er war mein Initiationsritual und schmeckte bitter und scheußlich. Und dabei gleichzeitig so gut – nach „endlich“ und „groß sein“ und „dabei sein dürfen“. Eines abends nach dem letzten Programmpunkt einer Kinderfreizeit ging ich deshalb voller Glück allein den Hügel hinauf zu meiner Holzhütte. Neben mir lief Jesus. Denn er hatte mich längst an- und ernstgenommen.
Später hörte ich Dorothee Sölle auf dem Kirchentag: „Mehr essen beim Abendmahl und mehr beten beim Essen“. Ich fragte ich mich, was wir da eigentlich tun beim Abendmahl. Wo das Brot ist. Was wir tatsächlich teilen. Und mit wem. Wer gehört dazu? Wer bestimmt, was wichtig ist? Für wen tun wir das? Mit welchen Privilegien? Und wenn wir es für Gott* tun, würde er nicht wollen, dass dieser Tisch viel größer ist, als wir es erlauben?
Als Studierende nahm mich eine Freundin mit in den Gottes*dienst. Ich traf lauter Menschen, die mich willkommen hießen. Die sich für mich interessierten. Die sich engagierten und Kirche so gestalteten, wie es ihnen gefiel. Es machte Spaß und ich fühlte mich wohl. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Ich musste keine Bedingungen erfüllen, bevor ich mitmachen und mich mit meinen Ideen einbringen durfte. Und auch Gott* zeigte sich mir auf besondere Weise: leicht und tief. Er begegnet mir in den Gummibärchen zur Begrüßung vor dem Gottes*dienst an der Kirchentür. Und in der Stulle danach im Café gegenüber. Ich traf ihn am Lagerfeuer und in der Musik und ganz besonders in der Gemeinschaft der Menschen und in den Geschichten, die sie teilten.
An einem Karsamstag saß ich mir Vielen am Tisch zum Agapemahl. Wie aßen und beteten. Brachen Brot und reichten den Kelch herum, als wir uns daran erinnerten, was Jesus tat. Ich hatte gelernt: „Ein Agapemahl ist kein richtiges Abendmahl.“ Abendmahl nicht ganz. Lückenhaft, ohne offizielle (also von einer ordinierten Person gesprochenen) Einsetzungsworte. Ohne ein Verständnis, an das man sich bindet – wie Symbol oder Leibhaftigkeit. Und durch diese Lücken ist da Platz für andere Anschlüsse: Ökumene zum Beispiel. Es fühlte sich an, wie ein Trick, das Abendmahl zu feiern, ohne es so zu nennen. Denn als wir dort beieinander saßen, im Licht der Kerzen am liebevoll gedeckten Tisch, da knisterte die Luft und unsere Herzen brannten. Sollte Gott* etwa nicht (ganz) hier sein? Nur, weil die die Form es anders vorschrieb? Als am Ostermorgen die Sonne aufging, da sah ich: er war längst da.
In Taizé hörte ich einen anglikanischen Priester in einer kleinen Kapelle. Fröhlich und voller Demut – einer Kraft hingeben, die groß zu allem ist – lud er ein: „Don’t come because you have ist all. Or because you know everything already: what you want and who’s your are. Don’t calculate. Come because you want more: because you want to know, feel and love more of everything that God has to give you. Come with your all not knowing, you’re welcome here.“ Und in meinem Herzen wusste ich: ich gehörte schon immer dazu.
Zu Gast in einer koptisch-orthodoxen Gemeinde roch ich die Brotfladen in den Öfen. Ich hörte den Priester, wie er nach dem Gottesdienst zu mir sagte: „Als Abendmahl darf ich es dir nicht geben. Aber als Brot: nimm, es ist für dich.“ Und ich nahm und aß. Und entgegen meiner Erwartung fühlte ich mich nicht ausgeschlossen, sondern Willkommen.
Im Vikariat hörte, sprach und sang ich zum ersten mal in meinem Leben Worte so alt wie unsere Kirche: „ Heilig, heilig, heilig.“ Sie waren mir fremd und wuchsen mir ans Herz. Weil da Menschen waren, die sie liebten. Und ich mich und auch Gott* tief in dieser Liebe finden konnte. Verbundenheit über Jahrhunderte. Geballtes Geheimnis: je näher ich dran war, desto größer wurde es. Ein Faden durch Zeit und Ewigkeit. In Brot und Wein, wie wir sagen: Symbol für Gottes* Hingabe. Wo wir sind, ist auch er. Jahrtausende alte Gesänge und Gebete schlugen ihre Wurzeln in meinem Herzen.
Ich lernte, dass in dieser uralten Tradition auch die Verstorbenen mitgedacht wurden. Dass die Gräber in alten Klöstern und Kirchen um den Chorraum platziert waren, damit sie nah bei uns an Gottes* Tisch sitzen würden, wenn wir Brot und Wein teilen. Weil wir glauben, dass dieser Tisch über die Grenzen unserer Welt hinweg reicht. Wie ein unsichtbare Verlängerung des Altars. Diese Vorstellung rührte mich so sehr, dass ich mir seitdem bei jedem Abendmahl vorstelle, wie all jene da sind, die ich kennen durfte und noch immer lieb habe. Wie sie mir mit ihrer stillen Nähe Zuversicht schenken: alles wird gut.
Als mein erstes Kind gerade sprechen konnte, da hatte er bereits unzählige Male am Abendmahl teilgenommen. Selbstverständlich gehören Kinder heute dazu, sind Teil der Gemeinschaft. Ich weiß noch, wie mein Sohn im Kreis der Gemeinde stand, während ich und meine Kolleg*innen Brot und Wein austeilten. Wie er nach oben schaute mit offenem Mund und in die Stille hinein staunte: „Boah, so groß!“ Ich musste schmunzeln und dachte bei mir: Ja. Wie groß bist du, Gott*. Weit über dieses Gewölbe hinaus reichst du. Deine Liebe über uns und in uns, wie groß oder klein wir uns auch immer gerade fühlen mögen.
So wie unser kleiner Sohn selbstverständlich zur Gemeinde gehörte, so selbstverständlich gehörte Gott* zu seinem Leben. Wenn er von Gott* sprach, dann war er stets wettgläubiger, als ich es zu dieser Zeit war. Er sprach stets weiblich über sie: „Mama, wenn Gott* im Himmel wohnt, hat sie dann ein Haus im Weltall?“ Sein Bild von einer weiblichen Gott*, die in etwa aussah, wie eine Erzieherin aus seiner Kita, das war von selbst in seinem Herzen gewachsen. Und manche Rituale übertrug er in seinen Alltag. Als wir einmal am Tisch saßen und er zum Frühstückstisch eine Schokobrot aß, da erblickte er meinen leeren Teller, reichte mir ein Stück und sprach: „für dich gegeben!“ Noch oft durfte ich diese Wort hören, wenn er was ihm heilig war mit mir teilte. Dazu gehörten vor allem süße Sachen und Naschereien.
Unser zweites Kind starb kurz nach meinem zweiten Examen. Bei seiner Sarglegung nahmen wir Felix in unsere Mitte und feierten an seinem Sarg das Abendmahl. Ebenso taten wir es bei seiner Beerdigung. Wie eine großes „doch!“, an dem ich mich festhalten konnte: doch, etwas bleibt. Das Ende ist so weit und offen, wie Gottes* Tisch. Und auch, wenn ich nicht sehen oder spüren und an manchen Tagen kaum glauben kann, tun andere es für mich. Diejenigen, die wie Felix nicht mehr hier sind. Die es seit Jahrtausenden glauben. So viele sind es, dass es nicht anders sein kann. Es muss gut ausgehen. Wir werden uns wiedersehen. Irgendwann, wenn auch ich gehen muss. Und jedes Mal, wenn wir Bot und Wein teilen, dann würde all das darin Platz haben.
In der ersten Zeit nach Felix Tod versorgten uns unsere Freund*innen 8 Wochen lang mit Einkäufen und Mahlzeiten. Sie erstellten ein Plan und wir mussten uns nicht kümmern. Unser Kühlschrank war stets gefüllt. Und meistens saßen wir Mittags oder Abends mit lieben Menschen am Tisch und aßen mit ihnen gemeinsam, was sie uns gekocht hatten. „Du deckst vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde“ heißt es im Psalm 23. Ein Bild, dass plötzlich Wirklichkeit war. Da saßen wir, Tag für Tag, manchmal weinend, manchmal schweigend, im Tal unseres Lebens, ohne Karte und Kompass, die uns verreiten, wie wir dort hindurch kommen würden. Doch in alledem war der Tisch gedeckt. Jeden Tag. Und Gott* war da.
In der Pandemie fehlte mir und anderen das Abendmahl. Wie konnten wir es feiern? Wir versuchten es digital. Teilen, was uns wichtig ist: Brot, Liebe, Geschichten. Und ich hörte: „Das kann nicht funktionieren. Abendmahl vor dem Bildschirm. Wo kommen wir da hin.“ Wir taten es dennoch. Mit dem, was da war. Und wenn kein Brot zur Hand war, dann reichte ein Keks oder Lakritz. Und statt Wein oder Saft tranken wir oft Wasser oder Tee. Niemand fand, dass es deshalb kein richtiges Abendmahl sei. Wir erlebten: so ist es richtig. Gut. Echt. Wir fühlten: Gott* ist da. Und auch andere fanden überrascht: „Stimmt. Ist echt.“ Also machten wir weiter, auch als die Pandemie ihr Ende fand.
Das Abendmahl ist für mich so Vieles:
Liebe, die sich mir verinnerlicht.
Zuversicht, die mich hält.
Geheimnis, das meine Seele streift.
Türspalt zum Himmel.
Anhaltestelle und Schwelle.
Ort, an dem wir Menschen zueinander finden und zu Gott*.
Anker für meinen Schmerz
und Himmel für mein Herz –
einmal wird alles verwandelt werden.
Abendmahl ist mir ein Schönstes und ein Heiligstes.
Und ich wünsche mir, dass andere Menschen sich auf diese Schönheit einlassen können und es wagen, sich von diesem Heil finden zu lassen.
Dafür braucht es Offenheit, Neugierde und Experimentierfreude.
Und ich glaube: auch Erfahrbarkeiten und Anschlüsse, die über unsere Gewohnheiten und Traditionen hinaus. Süßigkeiten verspielen nicht automatisch theologischen Gehalt und Gummibärchen verhöhnen nicht zwangsläufig himmlisches Heilsversprechen. Eine Tüte zum Wunder und Wunden teilen. Und vielleicht auch, um ein kleines bisschen heiler werden zu können. Für manche mag das geschmacklos sein. Für andere bedeutet es angenommen sein und sich aufgehoben wissen. Weil der Zugang zu Brot und Wein manchmal sehr weit ist, versperrt, erschwert oder verwehrt. Darum wünsche ich mir, dass wir uns um sichere Räume bemühen und um machtsensible Worte und achtsame Gesten ringen. Dass Gottes Willkommen spürbar wird:
schön, dass du da bist.
Hier ist Platz für dich
und für das, was dir gut tut.
Hier ist ein Ort für deine Verletzungen und für deine Sehnsucht,
für deine Freude und dein Leid.
Du musst dich nicht verstellen oder anpassen.
Du musst auch nichts zeigen von dir, das du für dich behalten willst.
Du bist hier richtig und wichtig,
mit der Nähe und dem Abstand, die du heute brauchst:
du darfst hier so sein.
Diesen Beitrag habe ich als Teil der Projektgruppe geschrieben, die den Entwurf zum „Feierabendmahl mit Wundertüte“ für den Kirchentag in Hannover 2025 über fast ein Jahr lang gemeinsam erarbeitet hat. Kurz vor Beginn des Kirchentages wurde im Netz und analog hitzig das Abendmahl diskutiert, weil der Entwurf vorschlägt, das Abendmahl mit Wundertüte – also mit Süßigkeiten zu feiern.
In Social-Media-Beiträgen wurde deutlich, dass (meiner Wahrnehmung nach insbesondere) hochkirchlich verbundenen Menschen das Abendmahl mit den Elementen Brot/Hostie und Wein in seiner klassischen Form unangefochten und unantastbar heilig ist. Das eine, vielleicht das wichtigste, das es in allen gegenwärtigen, kirchlichen Veränderungsprozessen festzuhalten und zu verteidigen gilt.
Auch intern wurde der Entwurf diskutiert. Die Auswirkungen der nicht öffentlichen Debatte sind hier im offiziellen Statement des Kirchentags nachzulesen:
https://www.kirchentag.de/service/aktuelles/hannover/maerz-2025/feierabendmahl
Zur theologischen Diskussion und Einschätzung in dieser Sache verlinke ich hier außerdem den klugen Beitrag von Dr. Sabrina Wilkenshof:
https://frommundfreitag.de/2025/ueber-wunden/
Der Entwurf kann online hier nachgelesen werden: